Bon direct, Austellungskatalog vom Bonner Kunstverein, 16.6-19.7 1998

 

Wo die beiden vorgenannten Positionen eine rationale oder analytisch anmutende Abstraktion von den latent emotional geprägten Inhalten kennzeichnet, da erscheint das Werk von Jürgen Reble, das ohne primär erkennbare figurative oder erzählerische Elemente auszukommen scheint und mangels anderer präziserer Bezeichnungen eher dem Experimentalfilm denn dem erzählerischen Spielfilm zuzuordnen ist, ganz entscheidend geprägt durch Emotionalität. Diese verdankt sich den von Reble seit Jahren erprobten Verfahrensweisen im Umgang mit dem technisch erzeugten laufenden Bild. Dabei kann die These aufgestellt werden, daß Reble zwei fundamental kontrastierende Strategien in spannungsgeladene Übereinstimmung bringt: Indem er die Gesetze der Bewegung, die für den Film die entscheidende Errungenschaft bilden, extensiv steigert, trägt er zur Zerstörung dessen bei, was die zweite entscheidende Grundlage bildet: das Festhalten einer in der Zeit ansonsten verschwindenden Wirklichkeit. Wo für Maria Anna Dewes Muybridge, der große Vorläufer des bewegten Bildes, des Filmes also, Vorbild zur Gestaltung ihrer Bewegung einfrierenden Skulpturen ist, da ist Jürgen Rebles Umgang mit dem Film, besser der Filmschleife, bestimmt von der Auflösung seiner dokumentarischen Möglichkeiten im Nichts. Ausgangspunkt ist gegebenenfalls das, was zu den mit dem Medium Film immer noch verbundenen Anliegen zählt: die sogenannte Wirklichkeit, der gemeinhin ein erzählerischer Charakter unterstellt wird. Daß diese Wirklichkeit im Film selbst da noch, wo sie als Dokumentation daherkommt, über die verschiedensten Wege der Manipulation längst ihren Wahrheitsgehalt verloren hat, ist allenthalben bewußt. Gleichwohl klammern sich Menschen jedweder Herkunft an die Möglichkeit, Wirklichkeit, ihre Wirklichkeit, mit filmischen Mitteln festzuhalten, was durch die Erfindung der VideoTechnik erheblich "erleichtert" wurde. Die Tatsache, daß Jürgen Reble sich just dieser Technik nicht bedient, daß er vielmehr auf das inzwischen nahezu archaisch anmutende Handwerkszeug des Films zurückgreift, erweist sich als vielsagendes Indiz für eine künstlerische Haltung, die auf eine andere Wirklichkeit als auf die oben angesprochene zielt. Diese Annahme verfestigt sich zur Erkenntnis in der Begegnung mit dem Werk vor allem dort, wo der Film, besser das Filmmaterial, der Rohstoff Filmschlaufe in Installationen einem elementaren Prozeß der Zerstörung preisgegeben wird. Nun ist es so, daß Reble durchaus nicht nur die "reine" Filmschlaufe diesem Prozeß der Zerstörung und des Verschwindens aussetzt. Diese vielmehr ist, bevor sie zum endgültigen Verschwinden gebracht wird, auch in althergebrachter Weise genutzt, mit dokumentarischen "Vorstellungen" besetzt, um dann in einem komplexen Verfahren eine Vielzahl "natürlicher" Prozesse zu durchlaufen. Dabei sind es just jene Prozesse, deren Materialität der Entwicklung des Mediums im wahrsten Sinne des Wortes immanent ist: Licht, Wasser, Salze und die mit diesen verknüpften chemischen oder physikalischen Vorgänge und Verbindungen. Diesen setzt Reble das Material aus, dergestalt eine Art alchemistischen Prozeß initiierend, dessen Folgen zwar grundsätzlich bekannt sind, im je sich ereignenden Ablauf aber eine Atmosphäre entstehen lassen, die emotional aufgeladen ist. Jenseits der materiell erfahrbaren Dingwelt entfaltet sich ein kreativer Prozeß, in dem die Entscheidungen des Künstlerproduzenten und die nicht wirklich kalkulierbaren Auswirkungen der physikalischen und chemischen Reaktionen zusammenwirken. Der Grad der endgültigen Zerstörung, in welcher sich auf sinnbildliche Weise unsere Vorstellung von Wirklichkeit kristallisiert, ist variabel, wird vom Künstler von Fall zu Fall bestimmt. Daß diese Zerstörung stattfindet, ist dem Werk Rebles immanent. Das Material, für welches er sich entschieden hat, trägt den Prozeß der Auflösung in sich. So kehrt sich denn die Vorstellung von der zunehmenden Unterkühlung unseres Verhältnisses zu den technischen Medien um in dem Maße, als gerade dieses Medium über die den natürlichen Prozessen entlehnte autonome künstlerische Aktion zum Träger der emotional geprägten Grunderfahrung von unserer Wirklichkeit als einer solchen des natürlichen Entstehens und Verschwindens mutiert.


Annelie Pohlen


Aszendent

 

Filminstallation mit schwarzem Raum, runder Leinwand, Filmprojektor (extrem verlangsamt), handgemalter Filmschleife, 16mm

Back